Literatur-Festival, Schulprojekttage, Schreibworkshops – alles mit Tucholsky

Eigentlich sollte es primär um den Stadtschreiber Max Czollek und seine Schreibarbeit gehen. Der “Rettung des Tucholsky-Museums” hatte er sich Ende 2024 gewidmet. Nach seiner Lesung ergaben sich vor allem aus dem Publikum Perspektiven, die weit über den politischen Streit hinausgehen. Und ein Überraschungsgast war auch da.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

Peter Graf sah viele interessierte Gesichter vor sich, als er einführend über seine Erfahrungen als neuer Mitarbeiter berichtete. Ein Klagelied klingt anders. Es wirkte, als habe er Peter Böthigs verdienstvolle Arbeit fortsetzen können. Kein Wort von politischer Pression oder amtlicher Gängelung. Von Langeweile allerdings auch nicht bei zeitlich verdichteter Arbeit. Für 2026 plane man ein Tucholsky-Literatur-Festival, verriet Graf. Man will Neuland betreten. Und mit der Akademie der Künste in Berlin sei man auch wieder in Kontakt.
Tucholskys Werke sind laut Max Czollek für eine lebendige Demokratie von grundsätzlicher Bedeutung. Aber sein als “links” und weltoffen einzuschätzende Position könnte rechtsnationalen oder rechtsextrem einzuschätzenden Kräften Anlass geben, das Bewahren in Häusern wie dem Tucholsky-Museum zu erschweren oder zu beenden. In den USA läuft das Lehrstück gerade. Czolleks Lesung aus seinem Essay ließ deutlich werden, wie er die Konflikte um das Tucholsky-Museum erlebt hat und sieht, was man befürchtete, was man unternahm, was passierte. Sogar ZDF und FAZ berichteten von den Vorgängen und Befürchtungen in der Provinz. Besorgte und empörte Autorinnen und Autoren veröffentlichen in der TAZ ihre Sicht, darunter auch andere Stadtschreiber. Max Czollek macht im Text und im Gespräch klar, dass der “Fall Tucholsky-Museum Rheinsberg” nicht erledigt sei. Das Datum unter dem Rheinsberger Bogen ist der 27. September 2025.

Arne Linnemann teilt die Sorgen, setzt aber ganz auf aktive Museumsarbeit.

Arne Linnemann vom Museumsverband Brandenburg zeichnete kein finsteres Bild von der Museumslandschaft. Doch die Zukunft könnte anders aussehen, das wurde klar. Das Geld ist knapp, die Konkurrenz der Finanzbedürftigen ist nicht zu unterschätzen, wenn man etwa an die Schulen denkt, von Infrastruktur, Digitalisierung und öffentlicher Sicherheit gar nicht erst zu reden. Viel hängt also von den politischen Konstellationen ab – auf kommunaler Ebene, im Land und im Bund. Hinweise von Czolek und Linnemann auf Bundesländer wie Sachsen-Anhalt verdeutlichten die Sorge, eine AfD-Landesregierung oder eine AfD-geführte Koalition könnte ab Ende 2026 wie zur Generalprobe vielen Demokratie-Initiativen und Vielfaltsprojekten den Geldhahn abdrehen. Alarm mochte Linnemann allerdings noch nicht schlagen.
Aber Robert Färber, der Vorsitzende der in Berlin ansässigen Kurt-Tucholsky-Gesellschaft. Er gab aus dem Publikum heraus der Sorge Ausdruck, die Forschung rund um Tucholsky könne (noch mehr) leiden, wenn das Museum nicht frei sei von amtlicher Bevormundung. Schon solchen Begriffen widersprach Ellen Krukenberg als städtischerseits Zuständige vehement und verwies auf die Kontinuität der Arbeit, wie Peter Graf sie umrissen hatte.
Im Publikum erhob sich eine Stimme, die die Gefahr krasser ausmalte als Färber, ausgehend vom Fall Rheinsberg. Es gab aber auch Wortbeiträge, die von viel zu geringer Verankerung der Museumsarbeit in der Bevölkerung ausgingen. Man hörte konstruktive Vorschläge, die viel Beifall fanden: Museumsbesuch von Schulklassen, Projekte an den Schulen im Geiste Tucholskys, offene Workshops und eine Modernisierung der Rheinsberger Bogen, aus Kostengründen primär und zuerst im Netz.

Bürger oder Bürgermeister? Frank-Rudi Schwochow im Tucholsky-Museum.
Fotos: VHS

Dass Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (BVB/Freie Wähler) zugegen war, ließ eigentlich eine direkte Kontrorverse erwarten. Erst gegen Ende ergriff der massiv Angegriffene das Wort, wies die von Czollek gewählte Terminologie entschieden zurück, denn er sei kein “Rechtsextremist”. Und außerdem: Seine Wähler seien nicht als “nicht-demokratisch” einzustufen. An der Bedeutung des Schriftstellers und Journalisten Kurt Tucholsky – für Rheinsberg und weit darüber hinaus – ließ der Bürgermeister als Bürger keinen Zweifel. Das war neu. Keine Hand rührte sich, um zu applaudieren.
Max Czollek nahm nichts zurück, schon weil Tucholsky den Rechten vom Schlage der AfD ein Dorn im Auge sein müsse durch seine Opposition gegen die nationalen, nationalistischen und nationalozialistischen Strömungen und Wortemacher. Von der jüngsten “Stadtbild”-Rhetorik des amtierenden Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) distanzierte sich der Stadtschreiber ganz deutlich. Hautfarbe als Kriterium? Joseph Goebbels lasse grüßen.
Richtig nah kamen sich die beiden Kontrahenten nicht. Schwochow hörte, was Czollek notierte: “Tucholsky ist mehr als Tourismus, Rheinsberg ist auch mehr als sein Bürgermeister.” Irgendwo wurde später eher halblaut gemutmaßt, dass Frank-Rudi Schwochow den Schritt ins selbstverursachte Minenfeld getan habe, weil er Landrat werden wolle. Max Czollek zumindest bedankte sich für die mit dem Besuch zum Ausdruck gebrachte “Wertschätzung”.

Peter Graf präsentierte Jan Koslowski und Olga Hohmann

Foto zeigt Peter Graf

Wortakrobatik und Assoziationsströme im Tucholsky-Museum

Olga Hohmann und Jan Koslowski begeistern mit Lyrik, Prosa und Witz im Tucholsky-Museum – ein literarischer Abend voller Sprachkunst.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

Attribute, Lebensstationen, Aktionsfelder, Leidenschaften – im Schnelldurchgang porträtierten sich Olga Hohmann und Jan Koslowski gegenseitig, ehe die beiden Wortemacher und Sinnsucher richtig loslegten im Tucholsky-Literaturmuseum. Peter Graf, der neue wissenschaftlich-künstlerische Projektleiter, hatte zuvor zahlreiche Gäste begrüßen können und seine eigenen Aufgaben knapp umrissen. Demnach wird er sich in Zukunft auch um die Organisation solcher Veranstaltungen kümmern. Die politischen Konflikte um das Haus waren kein Thema. Die Gäste waren vermutlich auch nicht gekommen, um Berichte über den noch amtierenden Bürgermeister und die Kontrahenten vom Landkreis zu hören. Grafs Wort, dass es weitergehe, wurde mit Applaus beantwortet.

Olga Hohmann und Max Koslowski – hier als Glückskind mit Begleiter.
Fotos: VHS

In flinker Wechselrede gab es einen “geheimen Epilog”, der nun zum entfesselten Prolog wurde. Die Vorgaben sind gnadenlos: Ein “Rheinsberger Bogen” umfasst 16 Seiten. Basta. Schnell sprechen hilft vielleicht bei Redezeiten. Schnell schreiben wäre ein Witz. Also kürzen. Also verdichten. Selbst der Namenspatron würde nicht mehr Raum bekommen.
Von ihm gab’s “Augen in der Großstadt” aus dem Jahre 1930. “Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick…” Klar: “Von der Menschheit ein Stuck!” Und weiter. Anders in Rheinsberg. Da muss die Stadtschreiberin Glück gehabt haben, da blieb was zurück. In einem Chor entstand Freundschaft. Mit hoher Kirchenstimme holt Hohmann den Auftritt im Gotteshaus zurück. Sie strahlt. Da war besonders spürbar, wie wichtig die Zeit gewesen sein muss – hier im Kreis auf den Spuren der ersten Tage des Lebens. Die Eltern waren 1992 im Urlaub in Rheinsberg, doch Olga kam umständehalber lieber in Neuruppin zur Welt.
Jan Koslowski präsentierte einen Ausschnitt aus einer Novelle, die noch nicht vollendet ist. Beobachtungen, Assoziationen und Impressionen reihen sich aneinander auf dem Weg zweier junger Männer mit dem Auto hinaus aus der Stadt und hoch Richtung Ostsee. Aus Berlin? Auf jeden Fall nach Hiddensee! Parataxen und Ellipsen prägen die Notizen. Ganz so, wie’s im Kopf rauscht oder fließt oder blitzt oder stockt. Bloß kein Thomas-Mann-Stil! Ausgeruht wird auch hier nicht, zumindest nicht beim Vorlesen. Die Lauschenden werden hineingezogen und mitgenommen. Das kann Literatur.


Ein Gedicht von Koslowski lässt kurz darauf den Wald entflammen. Und den Poeten innehalten. Hohmann zitierte irgendwann Brechts “Gespräch über Bäume”. Fünf Worte sind mindestens geblieben: “Was sind das für Zeiten…” Die Stadtschreiberin weiß bei Eigentumsfragen die Aufmerksamkeit geschickt auf die Uferzonen der Seen und Flüsse zu lenken. Besatzer aus dem Westen sagt sie nicht. Besetzer auch nicht. Auf jeden Vokal kommt es an an diesem Abend.


Gern wäre man mit ihr noch bis zum Atomkraftwerk Rheinsberg vorgedrungen. Aber immerhin: Sie spricht es an, berichtet von Wasseranalysen an Seen, von Befürchtungen und Badelust. Ihre Zeit in Rheinsberg geht in Postkartenmotiven rund um’s Schloss nicht auf. Mit etwas Gesang und reichlich Applaus klang der gelungene Abend aus.

Petition zur Rettung des Tucholsky-Museums erfährt immer mehr UnterstützungLandtagspräsidentin Ulrike Liedtke unterschreibt auf dem Schulplatz in Neuruppin

Foto von Ulrike Liedtke und Peter Böthig

Immer mehr Prominente unterstützen die Petition zur Rettung des Tucholsky-Museums – auch Brandenburgs Landtagspräsidentin setzt ein Zeichen.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

Die Nachricht machte schnell die Runde: “Akademie der Künste stoppt die Zusammenarbeit mit dem Kurt-Tucholsky-Literatur-Museum in Rheinsberg!” Für Peter Böthig, den ehemaligen Leiter der Einrichtung, ist klar: “Das ist eine Zäsur. Damit verliert das Museum einen wichtigen Partner.” Insbesondere im Hinblick auf Ausstellungen habe man in Rheinsberg von den Berlinern profitiert.
Hintergrund der Entscheidung ist die Situation, für die man nicht nur in Berlin den amtierenden Bürgermeister Frank-R. Schwochow (BVB/Freie Wähler) verantwortlich macht. Die Initiatoren der Petition “Rettet das Tucholsky-Museum in Rheinsberg” sehen die Situation genauso. Dort heißt es: “Im Mai 2024 stimmten die Rheinsberger Stadtverordneten zu: Der Kreis soll die Trägerschaft übernehmen. Trotzdem weigerte sich der Bürgermeister, den Vertrag zu unterschreiben.” Auf dem Schulplatz in Neuruppin erinnerte Böthig daran, dass es immerhin um 625.000 Euro gehe. So sei der Wert der Bestände zu taxieren.
Böthig zeigte sich hocherfreut, dass Ulrike Liedtke, die amtierende Präsidentin des Landtags Brandenburg, extra in die Kreisstadt gekommen war, um ihre Unterschrift unter die Petition öffentlich zu geben. Liedtke wies ebenfalls auf die immense Bedeutung des Museums hin. Und sie betonte, ein solches Haus sei nicht nebenbei zu leiten. Ellen Krukenberg vom Amt für Kultur, Tourismus und Wirtschaft sieht sie als derzeitige Leiterin in einem Dilemma. Als ehemalige Stadtverordnete wies die SPD-Politikerin auch auf die finanziellen Verluste hin, die die Stadt Rheinsberg erleide, wenn der besagte Vertrag nicht zustande komme. Das Unterschreiben am Tablet wurde von Applaus begleitet.
Dass nicht einmal die anwesenden Rheinsberger über den aktuellen Stand der Personalfragen informiert waren, könnte mit Besuchshemmungen zu tun haben. Ein Veranstaltungboykott? Hier im Netz hätten Interessierte schon seit ein paar Tagen lesen können, dass sich der in Berlin beheimatete Verleger Peter Graf ab 15. Juli 2025 mit wissenschaftlichen Fragen befassen wird. Der Vertrag zwischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin und der Stadt Rheinsberg steht auf einem ganz anderen Blatt.

“Senden!” Ein Blick auf das Tablet der Potsdamer Landtagpräsidentin. Foto: VHS

Im Spätsommer wird gewählt in Rheinsberg. Es geht um die Leitung der Verwaltung und um die Repräsentation der Stadt. Der Amtsinhaber findet Herausforderer. An Tucholsky werden sie alle auf dem Weg ins Rathaus nicht vorbeikommen, am wenigsten Frank-R. Schwochow. Sollte es zu einer Podiumsdikussion kommen, wird die “Gretchenfrage” nicht ausbleiben, ganz diesseitig, ganz dringlich: “Wie hast du’s mit dem Tucholsky-Museum?” Und dann die Frage an den Amtsinhaber, warum der Text des 60. Stadtschreibers Max Czollek erst im Oktober erscheinen soll. Ob das mit dem Wahltermin zu tun hat? Und dem Thema des Rheinsberger Bogen? Eine “Anleitung zur Rettung eines Tucholsky-Museums” hat der Wagemutige verfasst? Klingt ja fast nach Tucholsky. Aber der Satiriker hätte wohl eher – wie in “Ratschläge für einen schlechten Redner” Tipps zur Kulturvernichtung gegeben. “Stell dich einfach amtstot!” und so Sätze…
Prominente wie Günter Wallraff und Katja Lange-Müller gehören übrigens schon zu den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen der Petition. Ulrike Liedtke wird als Nummer 2.123 geführt. Das war vor gut zwei Stunden. Der Zähler hat bestimmt schon weitergezählt.

Hier kann die Petition unterzeichnet werden: Rettet das Tucholsky Museum