Jahrestagung der Theodor Fontane Gesellschaft in Neuruppin

Hier kam er zur Welt, doch hier weilte er nicht etwa die meiste Zeit seines Lebens. Dennoch gibt es eine genuine Verbindung zwischen der Theodor Fontane Gesellschaft und der Fontanestadt Neuruppin. In diesem Jahr lud der Vorstand um Iwan-Michelangel D’Aprile zur Jahrestagung der Brandenburg-Berliner nach Neuruppin ein. Ein Schwerpunk des Programms war ein Besuch in Rheinsberg.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

Ehe man selbst am Samstag dorthin aufbrach, gab es am Abend zuvor in der Klosterkirche einen Vortrag von Marcus Becker mit dem Titel “Having read Fontane’s charming book…”. Im Mittelpunkt: Andrew Hamilton, ein Schotte, der im Jahre 1872 für drei Wochen in Rheinsberg weilte. Von Fontanes “Wanderungen durch die Mark Brandenburg” hatte er sich inspirieren lassen. Seine eigenen Eindrücke und Beobachtungen hat er später zum Büchlein geformt. Natürlich in seiner zarten Sprache.

Mit Humor und Sachverstand: Marcus Becker über Andrew Hamilton.
Fotos: VHS

Becker attestiert dem Schotten, der Herrlichkeit zu Rheinsberg sogar besser gerecht zu werden als der Märker. Das Urteil (“Hoffentlich werde ich nicht aus der Kirche geworfen!”) meint anscheinend durchaus den Vierklang von Form und Inhalt, von Umfang und Gestalt. Und die Perspektive sowieso. Der Redner gab Kostproben. Fotos beglaubigten das Gehörte – den großen Zeitsprung in die Gegenwart und gewisse Zäsuren mit Jahren der Vernachlässigung mal außer Acht gelassen. Das Auditorium wirkte bestens unterhalten.
Die Erfahrung der Fremde, das Erleben des Fremdseins hat auch Fontane immer wieder als prägend hervorgehoben. Vorschnelle Begeisterung kann auch dazugehören. Andrew Hamilton zumindest war total fasziniert. Das höfische Leben wurde, soweit möglich, beleuchtet. Ein “zerbrochener Porzellanteller” im Wasser, der sticht in der Idylle natürlich auch ins Auge. Wie der Autor weckte der Redner Neugierde, wie man sich das Leben in Rheinsberg vor fast 150 Jahren vorstellen kann – höfisch und städtisch, dabei weder zu scharfzüngig noch bloß schafselig. Ein paar Gäste (noch) ohne Mitgliedskarte hatten den Weg auch in die Kirche gefunden. Für die Mitglieder würde sich alles Weitere dann in Rheinsberg daselbst ergeben.

Gleich zweimal “ein weites Feld” in Berlin – Fontane geht eben immer…

Da ist am Bahnhof in Berlin Spandau dieses Schild, mit dem auf einen schönen Radwanderweg hingewiesen wird. Vor den Akteuren liege “ein weites Feld”. Der Hinweis auf Theodor Fontane und seinen Roman “Effi Briest” fehlt nicht. – Da ist in Berlin Mitte das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas, das vor genau zwanzig Jahren fertiggestellt wurde. Eine Filmdokumentation hat tatsächlich den Titel “Ein weites Feld”. Fontane geht eben immer, hier mal ganz unabhängig von dessen partiellem Antisemitismus betrachtet.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

So viele Jahrzehnte nach Erscheinen von “Effi Briest” ist die Verwendung von Zitaten natürlich frei, gerade wenn es um Markantes und Bekanntes geht. Ein geflügeltes Wort würde man es fast nennen können, wäre es nicht so erdverbunden. Ein “weites Feld” kann Spielfeld der Fußballer sein, nicht nur bei langen Pässen. Ein weites Feld bringt Arbeit mit sich in der Landwirtschaft. Am Ende im besten Falle Erträge, Gewinne, Ernährung. Sogar auf dem Schlachtfeld in der guten alten Zeit ist die Weite nicht unwichtig, schon wegen der Reichweite der Feldgeschosse. Bei Fontane aber geht es eindeutig um Familie Briest, um ein heikles Beziehungsgefüge.
Dass es schwierig ist, für einen Film über die besagte Gedenkstätte in Berlin das passende Motto zu finden, sei zugestanden. Der Film von Gerburg Rohde-Dahl, der unter dem Titel “Ein weites Feld” im Handel ist, dokumentiert den Bau – vom Setzen der ersten Stele bis zu der Zeit nach der Eröffnung – und greift Stellungnahmen und Eindrücke auf. Persönlicher Hintergrund ist die Verwicklung des Vaters der Regisseurin als kleines Rad im Getriebe des großen NS-Besatzungssystems in Polen.

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas – hier zur Pandemiezeit.
Fotos: VHS

Die Gefahr, dass aus dem Ensemble in Berlin trotz des überaus ernsten historischen Kontextes ein Spielplatz wird, eine Sonnenbank oder ein Labyrinth, wird thematisiert. Das Risiko bleibt, trotz aller Maßnahmen. Das weiß auch der Architekt Peter Eisenman. Für ein Fazit ist es bei der Produktion und auch kurz vor dem Erscheinen 2008 noch zu früh. Der Film selbst lässt an keiner Stelle und vor keiner Stele erkennen, warum dieser Titel gewählt wurde. Vermarktung? Auch ein weites Feld, die Verwendung von bekannten Redewendungen!
Nun hatte Günter Grass sich schon 1995 für diese Anleihe bei Fontane entschieden. Sein mittelmäßiger Roman “Ein weites Feld” ist unmittelbar an Theodor Fontanes Tun und Lassen angelehnt und führt natürlich Fonti, den Protagonisten, auch nach Neuruppin. Da von einem “weiten Feld” zu sprechen, wirkt angesichts des Umbruchs nach 1989/90 nicht unangemessen.
Das Stelenfeld in Berlin ist ürigens gar nicht “weit”, nicht offen, nicht grenzenlos. Die Gänge sind schmal, die Stelen sind eng gesetzt. Ihre Höhe ist teils beachtlich. Ähnliches dürfte auf der Welt nicht zu finden sein. Und das wollte Eisenman auch so. Und auch Leo Rosh, die Hauptinitiatorin. Eigentlich ist es unwegsam, dieses Feld – und das ist gut so, da es um Besinnung geht, um Trauer, um Schuld, um Scham, um Konfrontation, um Tränen, um Unfassbares.
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist seinerzeit durch die sonderbare Äußerung, man solle “gerne dorthin gehen”, in die Fachliteratur geraten. Claus Leggewie und Erik Meyer nahmen’s denn auch gleich als Buchtitel in Sachen “Deutsche Geschichtspolitik nach 1989”. Das Statement von AfD-Geschichtler Björn Höcke zum Holocaust-Denk- und Mahnmal ist zu würdelos, um hier ins Feld geführt zu werden.

“Gießhübler” oder “Gieshübler” oder “Giesshübler” – Hauptsache IM der Stasi

Sigrid und Mazzino Montinari mit ihren Kindern.

Man kennt ihn, den Apotheker, den Dr. Alonzo Gieshübler. In Theodor Fontanes Meisterwerk “Effi Briest” ist er gut beleumundet. Für Effi wird der ältere Herr zum Vertrauten. Da mutet es besonders zynisch an, dass der Literaturwissenschaftler Hans-Heinrich Reuter, Fontane-Preistrager 1972 in West-Berlin, neben seiner Tätigkeit als Autor und Herausgeber in Sachen Fontane auch noch als IM Gießhübler aktiv war für die Stasi. In Weimar hat man erst kürzlich zwei Dokumente aus seiner aktiven Zeit als IM veröffentlicht.

Von Volkmar Heuer-Strathmann

“Mit Freude (und) Zerstreuung hätte es manchmal recht schlimm gestanden, wenn Gieshübler nicht gewesen wäre”, weiß der einfühlsame Erzähler. “Der sorgte für Effi wie eine kleine Vorsehung und sie wusste es ihm auch Dank.” Der Stil? Am Ende knapp vier. IM Gießhübler schreibt da ganz anders und über anderes. Aber um Zwischenmenschliches geht’s später auch in den Dokumenten. Im Fokus: der aus Italien stammende Germanist Mazzino Montinari. Er hält sich Mitte der 60er-Jahre längere Zeit in Weimar auf. Es geht um eine Neuausgabe der Werke Friedrich Nietzsches in Italien. Nietzsche – der Name allein ist schon brisant in der DDR. Durch eine Untersuchung von Harich-Spezialist Andreas Heyer weiß man inzwischen mehr. Im Fall Montinari weiß die Stasi, dass er die Unita (KPI-Organ) und Neues Deutschland liest. Ideologisch gesehen sei er kein Marxist, aber irgendwie links. Na, immerhin. Ehefrau Sigrid ist deutscher Abstammung. IM Gießhübler weiß, dass der italienische Kollege auch in der DDR würde leben wollen. Mit Familie. Wenn er wissenschaftlich tätig sein könne.

Ein Blick ins heutige Nietzsche Archiv in Weimar.
Fotos: Nietzsche Archiv, Zugriff 15. August 2025

Nachlesen kann man die Ausführungen von Hans-Heinrich Reuter auf der Hompage des Nietzsche Archivs. Reuter ist es 1966 wichtig, zu betonen, dass die sozialistische Kulturpolitik der DDR die Möglichkeiten für Menschen wie Montiari geschaffen habe, über Nietzsche zu forschen. 1970 fällt die Einschätzung ganz anders aus. Die Familie hat die DDR inzwischen mit Ziel Italien verlassen. Zuvor traf man sich nochmal. IM Gießhübler musste feststellen, dass der Besagte eine “negative Grundhaltung zu allen ideologisch-politischen Fragen zum Ausdruck brachte”. Er lehne die sozialistische Staatsform ab, also die der DDR. Gleichwohl wolle er 1971 nochmal wiederkommen. Es folgt ein Hinweis, dass Akademiker wie Professor Montinari erheblich profitierten von den Möglichkeiten, die man nur in Weimar habe. Dem ist nicht zu widersprechen.
Nicht als IM, sondern als Herausgeber und Interpret der Briefe von Theodor Fontane an Julius Rodenberg kann man den IM schon seit 1969 kennen, hier natürlich unter dem Namen Reuter. Eben der Preisträger von 1972. Dem Juden Rodenberg, ursprünglich Levy, nach dem in Berlin eine Straße benannt ist, wirft Reuter vor, sich über Gebühr in den Vordergrund zu spielen, kein klares Verhältnis zum Feudalsystem in Preußen zu haben und voller Widersprüche zu stecken. Geldgier wird angedeutet, ein Klischee wird bedient. Und das von einem IM, der einen Mann bespitzelt, mit dem ihn fast Freundschaft verband. Theodor Fontane verdankte dem Verleger und Herausgeber Julius Rodenberg viel. Freunde wurden sie nicht. Reuter sieht Rodenberg “am Ende im Lager der Renegaten”. So zu denken, ist ihm natürlich unbenommen. Sich Gießhübler oder Giesshübler zu nennen oder genannt zu werden, ist allerdings schon ziemlich speziell. Wikipedia weiß: “Ab 1964 war Reuter als inoffizieller Mitarbeiter (IM) ‚Giesshübler‘ für die HA XX des MfS, Bezirksverwaltung Erfurt, tätig (BStU Erfurt, Az. 542/78 Bd. 1 u. 2).“
Ob es bei der Stasi auch eine “Effi” gab? Vielleicht mit Kontakt zur Villa in der Fontane-Straße in Neuruppin? Bitte melden!