Kaffeetafel kontrovers – Der Bundespräsident lädt in das Mehrgenerationenhaus Krümelkiste

Bundespräsident Steinmeier diskutiert in Neuruppin mit Bürgern über Migration, Jugend, Wendezeit und Engagement – offen, ehrlich und generationenübergreifend.

Von Macron

Neuruppin, Krümelkiste – Es war ein besonderer Nachmittag, den die Gäste der „Kaffeetafel kontrovers“ in Neuruppin erlebten: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud zur offenen Gesprächsrunde in das Mehrgenerationenhaus „Krümelkiste“. Der Besuch war Teil der bundesweiten Initiative Ortszeit Deutschland, die der Bundespräsident nach der Corona-Pandemie ins Leben gerufen hatte – als Antwort auf den zunehmenden Mangel an respektvollem gesellschaftlichem Dialog.

„Wir müssen wieder lernen, uns zuzuhören“, eröffnete Steinmeier die Runde. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern aus Neuruppin diskutierte er generationenübergreifend über aktuelle Herausforderungen, persönliche Lebenswege und das, was Neuruppin lebenswert macht – aber auch, was fehlt.

Vielfalt am Tisch – vom Jugendzentrum bis zur Kardiologie

Die Teilnehmenden kamen aus allen gesellschaftlichen Bereichen: Vom Sozialarbeiter über die Schülerin bis zum langjährigen Unternehmer. Besonders eindrücklich berichtete ein aus Syrien stammender und seit Jahren im Neuruppiner Klinikum tätiger Kardiologe, von seinen Erfahrungen. „Ich fühle mich hier angekommen“, sagte er. Als ein Beispiel für gelungene Integration erzählte er, wie kürzlich eine Herzinfarktpatientin ausschließlich von syrischen Ärzten gerettet wurde – ein bewegender Moment in der Gesprächsrunde.

Auch Vertreter der Jugendarbeit kamen zu Wort. Eine Sozialarbeiterin sprach über die Veränderungen im Engagement junger Menschen. Sie beobachtet ein wachsendes Desinteresse am Mitgestalten und betonte die Herausforderungen, Jugendliche für ehrenamtliche oder kulturelle Beteiligung zu gewinnen – auch durch den Einfluss sozialer Medien.

Wolfgang Freese, Frank Walter Steinmeier im Gespräch. Foto: Freese

Zwischen Umbruch und Aufbruch – Wolfgang Freese erinnert sich

Besonders eindrucksvoll schilderte Wolfgang Freese, wie tiefgreifend die gesellschaftlichen Umbrüche nach der Wende waren. Der gebürtige Neuruppiner hatte in der DDR als Lehrer gearbeitet, verlor seine Stelle jedoch aufgrund politischer Konflikte mit der Schulverwaltung. Erst nach der Gründung des Neuen Forums – das er mitinitiierte – konnte er vier Wochen nach dem Mauerfall wieder in den Schuldienst zurückkehren.

Freese erinnerte an eine Zeit großer Ungewissheit, aber auch neuer Möglichkeiten. Besonders stolz zeigte er sich auf die Rolle der Zivilgesellschaft in Neuruppin, etwa beim jahrzehntelangen Protest gegen das geplante Bombodrom. Die Stärke bürgerschaftlichen Engagements in der Stadt, so Freese, sei ein Grund, warum sich Neuruppin anders entwickelt habe als viele andere ostdeutsche Städte.

Auch beim Thema Migration bezog Freese Stellung: Er verwies auf die zunehmenden Spannungen im Stadtbild, etwa durch Jugendliche, die sich selbst als „Ossis“ bezeichnen, mit rechter Gesinnung auftreten und offene Jugendarbeit als „zu links“ ablehnen. „Das ist nicht nur ein Ost-West-Konflikt, sondern auch ein Generationsproblem“, sagte Frese. Der respektvolle Austausch und das demokratische Miteinander müssten immer wieder neu erlernt und verteidigt werden – gerade in einer Stadt, in der Vielfalt längst Alltag ist.

Generationen im Dialog – Stolz, Sorgen und Perspektiven

Neben dem Miteinander der Generationen war auch das Erbe der Wiedervereinigung ein wichtiges Thema. Während der eine durch die politischen Umbrüche seine Stelle verlor, nutzte ein anderer genau diese Zeit, um als Unternehmer durchzustarten. Beide Seiten saßen am Tisch – und hörten einander zu.

Der Seniorenbeirat brachte die Perspektive der älteren Generation ein. Themen wie Altersarmut, Pflegeängste, aber auch der Wunsch nach mehr Austausch zwischen Jung und Alt wurden angesprochen. Eine wichtige Erkenntnis: Gemeinsame Orte wie die „Krümelkiste“ schaffen Räume für Begegnung – müssen aber aktiv mit Leben gefüllt werden.

Respekt, Vielfalt und Verantwortung

Frank-Walter Steinmeier machte deutlich, dass diese Gespräche keine PR-Termine seien, sondern echte Gelegenheiten für Begegnung und Meinungsvielfalt. In Neuruppin wurde deutlich, wie wichtig solche Formate sind – gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen.

Am Ende des Nachmittags bleibt der Eindruck: Die Krümelkiste war an diesem Tag nicht nur ein Veranstaltungsort, sondern ein Symbol – für Dialog, Respekt und gelebte Demokratie.

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