Den Fontane-Preis wollte die jüdische Lyrikerin lieber nicht haben
Von Volkmar Heuer-Strathmann
Die fällige Konzertkritik schreiben andere – oder wieder nicht? “Großartig, hinreißend, sympathisch” – sicherlich. “Überwältigend”, auch möglich als Fazit dieses Abends mit Dota und Band in erweiterter Formation. Ein volles Haus, rauschender Applaus, im Mittelpunkt das lyrische Werk der jüdischen Dichterin Mascha Kaleko in moderner Vertonung mit Rockeffekten und sanfteren Klangpassagen, die tief berühen und doch meist aller Schwere entbehren. Einfach schön. Und schön einfach. Schauen wir aufs Notenblatt: Publikumskontakt 1+!

Wencke Wollny aus Neuruppin ist auch mit dabei. Mal im Gesangsduett mit Dota, mal am Saxophon oder an der Klarinette. Zu Recht bekam sie Sonderapplaus, sicher auch für ihre Performance. Da schwang weitaus mehr mit als nur der Ortsbezug oder Verwandt- und Bekanntschaft.
Was also noch, bitte? Mäkeln, meckern, madig machen? Nein! Auf Tournee oder vorab bleibt vermutlich kaum Zeit, sich näher einzulassen auf den jeweiligen Ort des Auftritts. Nun also die Fontanestadt. Ein Auftritt unweit des Geburtshauses. Kaum mehr als einen Steinwurf entfernt.
Mascha Kaleko wurde 1959 für den nächsten Fontane-Preis der Akademie der Künste Berlin nominiert. Im Anhang der Biografie von Jutta Rosenkranz liest man, die Dichterin habe ihre Kandidatur zurückgezogen, weil der Germanist Hans Egon Holthusen, ein Mitglied der Jury, von 1933 bis 1943 in der SS gewesen sei. Anerkennung war Kaleko durchaus wichtig, insbesondere in jüngeren Jahren. Aber für eine Ehrung dieser Art steht sie dem Kulturbetrieb in der BRD und Westberlin nicht zur Verfügung.
Ein knappes, stilsicher gestaltetes Informationspapier der Veranstalter würde zeigen, dass man es mit dem Etikett Fontanestadt durchaus ernst meint, gerade wenn es heikel wird. Fontanes punktueller Antisemitismus, wie er sich etwa in seiner Korrespondenz aus Norderney zeigt, könnte hinzugekommen sein in jenem Jahr. Aber man weiß nicht, was sie wusste. Das vermutlich nicht. 1949, so heißt es, habe die Lyrikerin sich noch nicht vorstellen können, wieder in Deutschland zu veröffentlichen. Das änderte sich. Sie gehörte ja wie Nelly Sachs zu den Geretteten, aber sie gehörten beide nicht zu den Unverletzbaren. Oder Vergesslichen. Im Gegenteil.
“Ich hatte einst ein Vaterland – so sang schon der Flüchtling Heine”, heißt es im Emigranten-Monolog. Und weiter “Das seine stand am Rheine, das meine auf märkischem Sand.” Und später: “Das wird nie wieder, wie es war, wenn es auch anders wird.” Unpolitisch war Mascha Kaleko nämlich nicht. Nur pflegte sie nicht Parolen poetisch einzufärben. Da liegt auch Dota völlig richtig.
In “Sozusagen ein Mailied” lesen oder hören wir aus dem Exil: “Manchmal, mitten im freien Manhattan, unterwegs auf der Jagd nach dem Glück, hör ich auf einmal das Rasseln der Ketten. Und das bringt mich wieder auf Preußen zurück.”
Geschickt fügt Dota früh ein paar Fakten ein: Schreibverbot 1935. Im selben Jahr Rauswurf aus der Reichsschrifttumskammer. Emigration in die USA 1938. Dota Kehr nennt das Stiltypische “Präzision”. Und ergänzt: “Kein Wort zu viel!” In der Kulturkirche ist es “Einem Kinde im Dunkeln”, was besonders zu Herzen geht in diesen Tagen: “Fällt der Abend auf die Welt…”
Was Theodor Fontane angeht, machte Wencke Wollny mit einem Soloauftritt und einer spritzigen Adaption neugierig. Zur Fontane-Preisverleihung 2025 werde sie wieder da sein, versprach sie. Applaus. Jubelrufe. Also Anfang Juni wieder ein volles Haus in Neuruppin, wenn Lisa Kränzler für “Mariens Käfer” aus dem Verbrecher Verlag ausgezeichnet und prämiert wird und wir hören, warum?
