“Für Emilie”

Beeindruckende Beiträge prägen den Fontanepreis 2025 für junge Schreibende

Von Volkmar Heuer-Strathmann

“Nicht ohne Ängstlichkeit ergreife ich die Feder”, notiert Emilie Kummer im Oktober 1839. Sie ist fünfzehn. Sie schreibt einen Brief. Was dächte sie wohl, wenn sie, die spätere Ehefrau Theodor Fontanes, im Jahr 2025 zu lesen oder zu hören bekäme, was junge Menschen – ausdrücklich ihr gewidmet – beim Fontane-Wettbewerb für junge Schreibende einreichten?

Eine “Babyklappe” gab es noch nicht. Sonst hätte dieses gefährdete Leben womöglich einen ganz anderen Verlauf genommen. So aber Adoption, Abneigungen und Ambivalenzen in wechselnden Konstellationen, auch Förderung und Verständnis und dann irgendwann die frühe Bekanntschaft mit Theodor, aus der später eine Ehe, Elternschaft und Schicksalgemeinschaft werden sollte. Mit einer Ausstellung und interessanten Vorträgen hat man im Museum Neuruppin der außergewöhnlichen “Dichterfrau” gedacht. Welchen Input die heutigen Zöglinge in den verschiedenen Anstalten bekamen und was im Einzelfall zur Teilnahme bewegte, muss hier offen bleiben. Was prämiert wurde aus der Reihe der über 70 Einsendungen in vier Alterskategorien, ist nachlesbar im Fontane-Kosmos. Deshalb hier nur paar Schlaglichter.

Man hatte sich in die Bilderbogen-Passage zurückgezogen, um die Preisverleihung trocken über die Bühne zu bringen. Auf der Bühne vor vielen Interessierten oder Involvierten konnte Uta Bartsch zunächst zwei Musikerinnen von “Solito” präsentieren, die zu gefallen wussten. Dann die Jüngsten, dann auf Platz 1 in der Gruppe des 3. und 4. Schuljahres die Kurzgeschichte “Theodor und Emilie in der Zukunft” von Lennox Prellwitz (Theodor-Fontane-schule Menz). Luise Lamprecht las vor. Die Menge lauschte. “Theodor machte die Augen auf”, heißt es gleich zu Beginn. “Huch!”, hört man ihn sagen. “Alles war anders”, geht es weiter. “Emilie war auch da.” Die beiden sind sich einig: “Das ist nicht unser Berlin.” Klar: “Autos, die gar keinen Lärm machen…”

Also 21. Jahrhundert? Stille in den Städten, aber nicht etwa Stillstand? Die Fontanes hatten ja auch sehr wechselvolle Zeiten erlebt – er mit Migrationshintergrund. Nicht zufällig ist die großartige Fontane-Biografie aus der Feder von Iwan-Michelangelo D’Aprile “Ein Jahrhundert in Bewegung” untertitelt. Das Cover zeigt verzweigte Schienen und eine Dampflokomotive mit grauenhafter CO2-Bilanz und furiosem Mobilitätgewinn. Im Hintergrund Masten von Großseglern.

Lennox Prellwitz lässt ein “Mädchen mit grünen Haaren” vorbeikommen. Wie es dann weitergeht mit Smartphone und moderner Mediennutzung inklusive Tik Tok und wie Emilie brav Theodors Fähigkeiten rühmt, muss man lesen. Immerhin kehren Theodor und Emilie ein. Sie muss ihm den Kaffee im 21. Jahrhundert nicht mehr hinterhertragen.

“Emilie – Eine Stimme im Schatten” hat Alhoush Tenhilan vom Städtischen Gymnasium Wittstock ihren Beitrag überschrieben. Die Siegerin in der Gruppe der Jahrgänge 10 bis 13 ist noch nicht in der Gymnasialen Oberstufe. Wer sie bald dort im Fach Deutsch unterrichten darf, ist zu beneiden. Über die gereifte Emilie war in der Passage zu hören: “Vielleicht liebte sie ihn immer noch. Aber es war eine andere Liebe geworden – keine, die flammte, sondern eine, die trug.” Später erfährt man, sie habe geträumt von einer Welt, in der ihre Worte gehört würden. Vorbei die heimliche Schreiberei! Also wie heute? Die Menschen frei, die Menschenwürde garantiert – unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft? Müsste man Alhoush Tenhilan mal fragen nach ihren persönlichn Erfahrungen in der Bundesrepublik, ihrer Weltsicht als Muslima und ihrem Blick auf Emilie – eine der “Stillen”, wie es gegen Ende heißt. Manchmal seien es deren Worte, die am längsten blieben.