“Auch ohne den Siegeszug der AfD wäre die Gegenwart schwer auszuhalten”, schreibt Manja Präkels. “Resignation ist keine Option”, resümiert Alexander Prinz, ohne dass es ihm speziell um Parteien ginge. Die in Rheinsberg und Berlin lebende Autorin schreibt in “Extremwetterlagen”, das Nachwendekind ist in Halle beheimatet. Sein Sologesang hat den Titel “Oststolz”. Der Altersunterschied beträgt 20 Jahre. Andere Unterschiede sind nicht so leicht messbar. Da hilft nur Lesen.
Von Volkmar Heuer-Strathmann
Das Buch “Extremwetterlagen” versammelt “Reportagen aus einem neuen Deutschland”. Im Mittelpunkt steht das Superwahljahr 2024, speziell die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Außer Manja Präkels sind die Autorinnen Tina Pruschmann und Barbara Theriault beteiligt. Federführend bei dieser Feldforschung war der Sozialwissenschaftler Alexander Leistner. Die ehemalige Stadtschreiberin von Rheinsberg legt das Augenmerk vor allem auf Brandenburg.
Um ein neues Deutschland geht es dem Mann Anfang dreißig auch. Sich selbst sieht er bei aller Bescheidenheit als eine der Stimmen an, die guten Grund haben, ihre Erfolgsgeschichten zu erzählen. Seine hat viel mit Eigenaktivität, Unternehmertum und neuen Aktionsfeldern zu tun. Er ist bei YouTube unterwegs. Manja Präkels zum Beispiel ist viel mit dem Zug unterwegs. Musik machen beide. In der Heimat von Prinz sind im kommenden Jahr Landtagswahlen. An der Spitze der extrem umfragestarken AfD steht mit Ulrich Siegmund ein Vertreter der Prinzengeneration. Auf Facebook ist der ganz kurz nach der Einheit geborene Strahlemann hyperaktiv. Und siegesgewiss. Sein Oststolz ist anderer Art.
Präkels’ Anliegen ist es, wie eine Lokaleporterin unterwegs zu sein. Sie hat den Job schon mal gemacht für die MAZ, eine Schwester der HAZ. In den Jahren danach muss ihr allerdings das, was Lokaljournalismus ausmacht, was ihn attraktiv macht, was ihn schwer macht, was nervt, was kitzelt, was er bedeutet im Kräftegefüge einer parlamentarischen Demokratie, völlig entglitten sein. “Auf Durchreise” – diese Ortsbestimmung gilt auch für das Schreibprojekt. “Brandenburg ist vielen nur als Durchfahrtsland bekannt”, schreibt sie. Und fährt und fährt.

Fotos: VHS
Ein Ausflug führt im Sommer 2024 nach Teltow-Fläming. Diesmal mit dem Auto. “Vor einer alten Sowjetkaserne döst ein Schäferhund in der Sonne.” Stimmungsbilder sind ihr Stärke. Mit wenigen Strichen. Gegen Ende ihrer Aktionen notiert sie: “Um zu verstehen, wie es den Menschen in den Provinzen geht, wer sie sind und was sie hoffen, ist es wichtig, sich als Teil von ihnen zu begreifen.” Für sich nimmt sie das in Anspruch. In “Angstlandschaften” war sie ja reichlich. Aber eher als Stimmungsbarometer, als Seismografin. Doch wer wollte ihr vorwerfen, das Gepräch nicht gesucht zu haben als Lokalreporterin, wenn sie in Luckenwalde mitbekommt, was geredet wird: “Sind nur noch Ausländer aufm Boulevard.” Ist das Nationaldeutsch? Um “Schwatte” geht es. Es wird gehetzt. Nazinah. Es ist Schützenfest. “Kanone kommt!’ Zeit zu gehen,” schließt Präkels. Wie mögen die laut Tönenden die fremde Zeitzeugin wohl wahrgenommen haben? Eine von “die verhassten Jrünen”?
In “Oststolz” ist auch die Rede vom Weggehen. Rübermachen. Richtung Westen. “Wenn immer mehr Menschen eine ländliche Region verlassen, gerade die Jungen, die Qualifizierten, die potenziellen Gründer, setzt sich eine unheilvolle Abwärtsspirale in Gang”, schreibt Prinz. Das mit den “Jungen” soll sicher der Generation gelten, nicht dem Geschlecht. Die deutsche Sprache hat diese Fallstricke. Im Osten sieht Prinz gute Gründe für Gründer. Wie viel Mär in seiner Gewinnergeschichte steckt, lässt sich bei einfacher Lektüre nicht sagen. Als “Nachwendekind” kann Prinz die vierzig Jahr währende deutsche Teilung nicht kennen. Aber ihre Nachwirkung. Und wie die Menschen darauf zurückblicken, etwa der Vater, der irgendwann “mit dem System endgültig ‘durch’ war”. Eine Wahlempfehlung formuliert der “junge Parabelritter” nicht. Dass er “metal” mag und macht, ist bekannt, ist Teil seines Weges. Manja Präkels geht es musikalisch sanfter an, aber nicht besänftigt. Ihre “Gauland”-Erfahrung ist legendär. Auf ihre Songs dürfte sie auch stolz sein. Und auf das Erbepflege von Erich Mühsam.
Die beiden Bücher im Wechsel zu lesen, hat seinen Reiz, dann natürlich auch die hier vernachlässigten Stimmen. “Ob die Dämme halten?”, fragt Manja Präkels voller Skepsis. Ob Alexander Prinz mit “Oststolz” ein Selbstbewusstsein im neuen Deutschland stärkt, das ohne Hass und Verachtung auskommt?


