„Ein Mensch zweiter Klasse“

Vor 33 Jahren wurde Emil Wendland im Neuruppiner Rosengarten von drei Skinheads ermordet. Der Fall zeigt, wie tödlich die Ideologie sozialer Ausgrenzung wirken kann – und wie wenig Obdachlose in unserer Gesellschaft zählen.

Ein Gedenken erinnert nun an das sozialdarwinistische Hassverbrechen.

Von Macron

NEURUPPIN. Es ist eine Sommernacht im Juli 1992, als drei junge Männer durch den Rosengarten ziehen – ein Park im Zentrum von Neuruppin. Sie haben sich verabredet zum „Penner klatschen“, wie sie es nennen. Ein menschenverachtender Begriff für ihr Vorhaben: Obdachlose oder als „Assis“ abgewertete Menschen aufspüren und zusammenschlagen.

Sie finden ihr Opfer auf einer Parkbank. Emil Wendland, 50 Jahre alt, schläft dort, alkoholisiert. Einer der drei, Mirko H., tritt zu ihm, weckt ihn, schlägt zu. Dann folgen die anderen. Sie schlagen und treten den Mann. Als sie sich kurz entfernen, kehrt Mirko H. zurück – und sticht siebenmal mit einem Messer auf den bereits schwer verletzten Emil Wendland ein. In Brust und Bauch. Wenig später stirbt Wendland an seinen Verletzungen.


Das Urteil: Totschlag mit sozialdarwinistischem Motiv

Im Oktober 1993 verurteilt das Landgericht Potsdam den Haupttäter Mirko H., 20 Jahre alt, wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendstrafe. In der Urteilsbegründung heißt es, der Täter habe Emil Wendland für „einen Menschen zweiter Klasse“ gehalten. Ein Mittäter wird wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Auch das Gericht erkennt den ideologischen Hintergrund der Tat an: Es sei darum gegangen, „in der Nacht Assis aufzuklatschen“ – das Zusammenschlagen von Personen, die als „missliebig“ oder „verachtenswert“ galten.

Die Richter benennen, was lange Zeit verschwiegen wurde: Die Täter handelten aus einem sozialdarwinistischen Weltbild heraus – einer Ideologie, die den Wert eines Menschen nach sozialer Stellung, Leistungsfähigkeit und Anpassung bemisst.

**Ein Mord mit politischem Motiv – aber lange nicht als solcher anerkannt

Was folgte, war nicht nur ein Mord, sondern auch ein Fall von institutionellem Wegsehen. Obwohl die Täter im Prozess sagten, sie hätten aus Hass auf Obdachlose gehandelt, stuften Ermittler die Tat nicht als politisch motiviert ein. Das Landgericht Neuruppin verurteilte den Haupttäter 1993 wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendstrafe, einen Mittäter zu drei Jahren wegen schwerer Körperverletzung. Vom gesellschaftlichen Kontext – rechte Gewalt, Sozialdarwinismus – war kaum die Rede.

Erst Jahre später, nach Recherchen von Initiativen wie der Opferperspektive Brandenburg, wurde die Tat offiziell als rechtsextrem motivierter Mord anerkannt.

**Wendland war mehr als ein Opfer

Von Emil Wendland ist nicht viel überliefert. Er war alkoholkrank, wohnungslos, lebte in Notunterkünften oder auf der Straße. Dass kaum jemand mehr über ihn weiß, liegt nicht nur an seiner Lage – sondern auch an einem gesellschaftlichen Desinteresse. Er war ein Mensch am Rand, ein Mensch, den viele nicht sehen wollten. Genau das machte ihn zum leichten Ziel.

Die Täter sprachen nicht von „Linken“, „Ausländern“ oder „Anderen“ – sie sprachen von „Abschaum“. Ihre Tat war Ausdruck eines sozialdarwinistischen Denkens, wie es im rechtsextremen Milieu verbreitet ist: Nur wer „leistet“, gehört dazu. Wer „schwach“ ist, zählt nicht.

Ein Gedenken – zu spät?

Am Dienstagmittag, 33 Jahre nach der Tat, gedenken Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit Neuruppins Bürgermeister Nico Ruhle , Vertreter:innen von Neuruppin bleibt bunt und dem Mittendrin in einer Schweigeminute an Emil Wendland. Im Rosengarten legen sie am Mahnmal Blumen nieder.

Doch noch immer stellen sich viele in der Stadt auch eine andere Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis Emil Wendland öffentlich gewürdigt wurde? Warum wurde sein Tod nicht sofort als das erkannt, was er war: Ein rechtsradikaler sozial motivierter Hassmord – Ausdruck eines enthemmten Klassenhasses von rechts.

Bundespräsident Steinmeier und Nico Ruhle im Gespräch mit Vertreter:innen von Neuruppin bleibt bunt und des „Mittendrin“ Foto: Wolfgang Frese

Wer zählt – und wer nicht?

Emil Wendland war ein Mensch mit Brüchen. Alkoholkrank, wohnungslos, sozial isoliert. In den Augen der Täter war das Grund genug, ihn anzugreifen. Und auch nach seinem Tod blieb die öffentliche Reaktion verhalten. Kein Aufschrei, keine große Mahnwache. Die Würde des Opfers wurde überlagert von einem Schweigen, das viel über die Stellung armer und obdachloser Menschen in Deutschland sagt.

Dabei war Wendland nicht das erste Opfer solcher Gewalt. Schon in den 1990er Jahren registrierten Opferberatungen zahlreiche Übergriffe auf Wohnungslose, auch in Brandenburg. Die Täter kamen häufig aus der rechten Szene – ihr Weltbild geprägt von Abwertung, Selbstüberhöhung und Gewalt.

Erinnern an Opfer rechter Gewalt. Foto: Macron